Ausgrabungen in der Göppinger Altstadt

Funde aus Mittelalter und Neuzeit

Seit ihrem Bestehen 1985 begleitet die Kreisarchäologie regelmäßig Baumaßnahmen in der Göppinger Altstadt. Dabei kamen regelmäßig spannende Befunde und Funde zutage, die ein neues Licht auf die Stadtgeschichte warfen.

Spuren der Göppinger Stadtbefestigung im "Roth-Carré“

Im Rahmen der Neubebauung des "Roth-Carrés“ wurde 2006 ein Teil des alten Gebäudekomplexes von 1953 abgerissen. Bei den Aushubarbeiten für den Neubau stieß der Bagger am Südrand der Baugrube auf die Reste eines Gebäudes, das zu der vorstädtischen Bebauung des ausgehenden Mittelalters gehörte.

Historische Göppinger Stadtansicht nach Matthäus Merian (1643), markiert ist die Lage der Grabungsstelle (Abbildung: Kreisarchäologie Göppingen)
Historische Göppinger Stadtansicht nach Matthäus Merian (1643), markiert ist die Lage der Grabungsstelle (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)

Unweit dieser Fundamentierung trat ein gewaltiger, zwei Meter breiter Mauerzug aus exakt geschnittenen Sandsteinquadern zutage. Bei diesem Befund handelt es sich um ein bisher unbekanntes Vorwerk, das im Verlauf der Neuzeit als Flankenschutz für das Obere Tor angelegt wurde. Die Grenze zwischen dem "Roth-Carré“ und dem Areal der Stadtkirche bildet bis heute der Verlauf der äußeren Stadtmauer.
Bei der im "Roth-Carré“ auf einer Länge von 55 m freigelegten Mauer handelt es sich um die Contre-Escarpe genannte Futtermauer des Stadtgrabens. Nach dem Bau des Stadtschlosses ab 1555 wurde eine neue Befestigung außerhalb des Grabens zum neu angelegten Schlossgarten nötig. Zu diesem Zweck befestigte man die äußere Grabenseite mit einer Mauer. Auf einem 2,30 m breiten Fundamentsockel folgte die 1,80 m breite Sandsteinmauer, die nach dem Stadtbrand von 1782 bis auf eine Resthöhe von 1,40 m geschleift und durch eine schmälere Mauer ersetzt wurde. Zur Entwässerung legte man vor der äußeren Mauer einen Graben an, der durch einen Kanal im Fundamentsockel mit dem eigentlichen Stadtgraben verbunden war.
Nach 1782 wurde im Bereich des inzwischen zugemauerten Kanals ein Brunnen gebaut, der nach Aussage der Funde in der Verfüllung noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Betrieb war. Bei den Freilegungsarbeiten konnte ein interessantes Spektrum an spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Gefäß- und Ofenkachelbruchstücken geborgen werden. Vom Alltagsleben in Göppingen vor dem zweiten Stadtbrand erzählen auch Scherben von Gläsern, Knochen von Haus- und Wildtieren sowie einzelne Metallobjekte, darunter ein bronzener Wasserhahn mit einem Griff in Form eines Hahns.

Reste der Contre-Escarpe-Mauer mit Brunnen aus der Zeit nach 1782 (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)
Reste der Contre-Escarpe-Mauer mit Brunnen aus der Zeit nach 1782 (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)

Rund um die "Neue Mitte"

Ein besonderes Augenmerk galt 2003 den umfangreichen Bauarbeiten zur Neugestaltung der Hauptachsen der Göppinger Altstadt ("Neue Mitte“). Bei den Bauarbeiten in der Haupt-, Post- und Marktstraße waren Funde und Baubefunde aus dem mittelalterlichen Göppingen zu erwarten. Die tief in den Untergrund vorgetriebenen Kanalgräben in der Marktstraße erbrachten keinerlei Hinweise auf die Existenz einer von der älteren Forschung immer wieder auf dieser Linie postulierten Stadtbefestigung. Im Aushub konnten jedoch die Randscherben von Gefäßen aus der Zeit des 11. bis 14. Jahrhunderts geborgen werden. Vor dem Haus Poststraße 45 wurde ein Rest der hier in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Stadtmauer mit dem Ansatz einer Torwange des Neuen Tors (Posttor) freigelegt. Weiter östlich fanden sich vor den Gebäuden Poststraße 42 und 43 Spuren der ehemaligen Zwingermauer. Auf Höhe des Gebäudes Hauptstraße 31 war die Zwingermauer zwar noch gut erkennbar, jedoch durch zahlreiche moderne Leitungs- und Kanalgräben stark ausgebrochen.

Dahinter folgte ein gewaltiges Mauerfundament, bei dem es sich um Reste der nördlichen Torwange des Oberen Tors handelte. Mauerfundamente im Einmündungsbereich des Schillerplatzes in die Hauptstraße sind entweder mit einer nach 1782 entstandenen neuen Toranlage oder mit mittelalterlichen Vorstadthäusern in Verbindung zu bringen. Diese außerhalb der Stadtbefestigung errichteten Häuser sind gut auf einer Stadtansicht von Matthäus Merian aus dem Jahr 1643 erkennbar.
Nach dem Abriss des Gebäudes Schillerplatz 5 kamen bei den Aushubarbeiten für einen Neubau schwere Fundamentreste zum Vorschein, die quer durch den hier ebenfalls freigelegten Stadtgraben zogen. Es handelt sich dabei um Spuren eines Vorbaus der Stadtbefestigung, dessen Funktion und Größe in dem kleinen Ausschnitt der Baugrube jedoch nicht zu klären war. Nach der Auffüllung des Stadtgrabens bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das durch den ehemaligen "Schüsselgraben“ fließende Wasser durch einen Ringkanal abgeleitet, dessen sauber gemauertes Gewölbe noch gut erhalten war. Im Schlick des Stadtgrabens fanden sich zahlreiche interessante Scherben von Gefäßen aus der Zeit vor und während des Stadtbrands von 1782.

Contre-Escarpe-Mauer vor der Stadtkirche (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)
Contre-Escarpe-Mauer vor der Stadtkirche (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)

In der Zeit vom August bis November 2005 wurden in Göppingen die Bauarbeiten im "Haux-Areal“ regelmäßig überwacht. Das geborgene Fundmaterial besteht aus sekundär umgelagerter Keramik des Spätmittelalters und der Neuzeit. Vor Baubeginn wurden mehrere nach dem Stadtbrand von 1782 errichtete Häuser abgerissen. Die noch von deren mittelalterlichen Vorgängerbauten stammenden Gewölbekeller fielen leider den Baggerschaufeln zum Opfer. Einmal mehr ging hier wieder ein Stück Stadtgeschichte unwiederbringlich verloren.
Mehrfach konnte im Stadtgebiet ein überwölbter Kanal beobachtet werden, den man im frühen 19. Jahrhundert in den verfüllten Stadtgraben einbaute. Dieser sammelte das ehemals offen im Graben fließende Wasser und leitete es in die Fils ab. Der Kanal war mit Einstiegsschächten versehen.

Bei baubegleitenden Untersuchungen am Liebenstein’schen Stadtschlösschen, dem „Storchen“ und in dessen unmittelbarer Umgebung konnten zwischen 2009 und 2014 interessante archäologische Beobachtungen gemacht werden.
Bei der Renovierung des 1536 an die Stadtmauer angebauten Hauses wurden 2012 vor der Südostwand Mauerzüge eines älteren Vorgängerbaus freigelegt. Das Kellergewölbe unter dem Boden des Erdgeschosses war mit Siedlungsschutt verfüllt, der vor allem Material aus der Zeit vor und nach der Stadtgründung im 12. und 13. Jahrhundert sowie bis zur Errichtung des Gebäudes 1536 erhielt. Ähnliche Funde stammen aus der Verfüllung eines 2009 in der Wühlestraße 23 ergrabenen Grubenhauses. Interessant sind Scherben von Gefäßen rotbemalter Feinware, das als Tischgeschirr diente, und von grautonigen Grapen, die im 13. Jahrhundert als Importe aus dem westlichen Bodenseeraum nach Göppingen gelangten.

Kirchstraße 29 (2014)

Anzeichen der Stadtbrände in der Kirchstraße (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)
Anzeichen der Stadtbrände in der Kirchstraße (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)

Spuren der beiden Stadtbrände von 1415 und 1782 finden sich regelmäßig in der Altstadt. So konnte 2014 in der Kirchstraße 29 eine Latrinengrube untersucht werden, die sich ehemals zwischen zwei Häusern im sogenannten Ehgraben befand. Sie enthielt in ihrem oberen Bereich Funde aus der Zeit nach dem ersten Stadtbrand und in ihrem unteren Bereich Funde des 13. und 14. Jahrhunderts. Der zweite Brand zeigt sich in Form einer massiven Planierschicht mit Brandschutt. Vor dem Wiederaufbau planierte man die Überreste der Häuser ein und errichtete darauf die neuen Gebäude.

Kornhausplatz (2017)

Bei den Untersuchungen vor der Neugestaltung des Kornhausplatzes wurden 2017 die Fundamentreste und die Umfassungsmauer des Adelberger Pfleghofs freigelegt. Innerhalb fanden sich Mauerreste der Pflegamtsbehausung. Die ältesten Baureste stammten von einer rechteckigen Latrinengrube und von einem rund gemauerten, noch 5 m tiefen Brunnen aus dem 15. Jahrhundert. Die Verfüllungen enthielten zahlreiche Bruchstücke von Keramikgefäßen, Metallobjekten, Glasscherben und Dachziegeln nebst sehr vielen Objekte aus Leder und Holz. Diese hatten sich aufgrund von Staunässe erhalten.
    

 
Eine solche Befundsituation war für Göppingen bisher einmalig. Die Verfüllung der Latrine war mit Rundhölzern, Balken, Zweigen und Holzresten durchsetzt, von denen viele Schnittspuren aufwiesen. Bei einer Vielzahl von Lederresten handelt es sich um Bestandteile von Schuhen. Unter den Funden hervorzuheben sind der Boden einer Kraxe aus Holz und das Segment eines Speichenrades mit einem Durchmesser von 1,40 m. Dabei handelt es sich um das älteste im Landkreis Göppingen bekannte Rad.

Areal Marktstraße 19 und Kirchstraße 7 (2019)

Das 2019 gefundene Aquamanile in Form des Kentaurenkönigs Cheiron (Foto: Katja Bode)
Das 2019 gefundene Aquamanile in Form des Kentaurenköngis Cheiron (Foto: Katja Bode)

Ein weiterer Befund mit Feuchtbodenerhaltung konnte 2019 bei der Untersuchung der Areals Marktstraße 19 und Kirchstraße 7 nach dem Abtrag einer Wegpflasterung und einer Planierschicht mit Material des 15. und 16. Jahrhunderts freigelegt werden. Darunter folgte ein 0,30 m starker Schlickhorizont, durchsetzt mit Ästen und Zweigen. Dazwischen lagen hölzerne Becherdauben, Fragmente gedrechselter Behältnisse, Reste von Lederschuhen und Tierknochen. Keramikfunde datieren die Schicht in das späte 13. bis 14. Jahrhundert. Herausragend unter den Funden ist das Fragment eines oxidierend gebrannten und braun glasierten Aquamaniles aus dem fortgeschrittenen 13. Jahrhundert. Das Gefäß hatte ursprünglich vier Füße. Der Ausguss besteht aus dem bekrönten Kopf eines älteren bärtigen Mannes. Das Gesicht ist ungewöhnlich detailliert und realistisch gestaltet. Bei der Darstellung handelt es sich um den mythologischen Kentaurenkönig Cheiron. Vieles spricht dafür, dass es als Import aus dem Konstanzer Bodenseeraum oder der Nordschweiz nach Göppingen kam.

Spitalstraße 17/19, Ecke Wühlestraße (2021)

Überraschende Einblicke in die Stadtentwicklung boten sich 2021 in der Spitalstraße 17/19, Ecke Wühlestraße. Dort wurden zwei Häuser abgebrochen. Unter diesen folgte eine flächendeckende Planierung des Brand- und Bauschutts des Stadtbrands von 1782. Unter dieser Schuttplanierung traten die Sohlen von zwei Erdkellern zutage. Keller 1 wurde von Keller 2 geschnitten. Dieser gehörte zu einem Gebäude aus der Zeit nach dem ersten Stadtbrand von 1425. Dessen nordwestliche Außenwand saß auf einer breiten Mauer älterer Zeitstellung auf. Die Baureste waren wiederum in eine Planierschicht mit Brandschutt des ersten Stadtbrands eingetieft. Den Untergrund bildete das grauschwarze, mit Ast- und Zweigbruch durchsetzte Lehmsediment eines ehemaligen Bachbetts. Über diesem befand sich eine 0,30 m starke Planierung aus Dachziegel- und Steinbruch.

Alte Wehrmauer an der Spitalstraße (Foto: Kreisarchäologie Göppingen / ArchaeoConnect)
Alte Wehrmauer an der Spitalstraße (Foto: Kreisarchäologie Göppingen / ArchaeoConnect)

Die erwähnte zweischalige massive Mauer aus Kalksteinen war noch bis zu 1 m hoch und 1,60 m breit. Die gesamte Befundsituation spricht für eine Wehrmauer, die bereits in der Zeit vor der Stadtgründung angelegt wurde. Es ist naheliegend, diese Befestigungsanlage mit dem dritten „Haus“ von 1206 im Umfeld des Liebenstein’schen Stadtschlösschens, einer der vier mittelalterlichen Keimzellen der Stadt, in Verbindung zu bringen. Nach der Errichtung der Stadtbefestigung im frühen 13. Jahrhundert verlor die Wehranlage ihre Funktion. Ihr Abriss erfolgte spätestens mit der Neugestaltung der Stadt nach dem Brand von 1425. Zu dieser Zeit hatte man auch das alte Bachbett verfüllt und das Gelände planiert. Auch hier weisen Funde auf eine Besiedlung schon im 8./9. Jahrhundert hin.

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Dr. Stefan Lang Abteilungsleiter
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